Welche Fähigkeiten und Talente sind nötig, um das Bogenschiessen vom Pferd zu lernen? Talent und Fleiss. Ein talentierter Schüler ohne Fleiss ist armselig. Ein fleissiges Antitalent ist erträglich. Ein fleissiger Idiot macht dein Leben zur Hölle, ein talentierter Bösewicht macht es bitter.
Lajos Kassai
Schon immer von der Form des Bogens fasziniert, wurde Lajos Kassai Bogenbauer. Lernte von den Archäologen, die aus den Resten der in den Hunnengräbern gefundenen Reiterbögen Modelle schufen, wie sie wohl einmal ausgesehen haben mochten und baute sie. Baute die Bögen der alten Steppenvölker mit modernen Materialien wie Fiberglas und der Hilfe moderner Maschinen – so wie die Steppenreiter selbst sie heute gebaut hätten, sagt er, mit dem besten Material, das zur Verfügung steht.
Aber nur die Bögen herzustellen, war ihm nicht genug. Er wollte sie auch benutzen, aber nicht nur vom Boden aus. Er lernte Reiten, „zwischen all den Stürzen in jenen kurzen Zeiträumen, in denen ich mich auf dem Pferderücken halten konnte“, schreibt er, und vereinte in jahrelanger Arbeit beide Künste. Dass er damit einen neuen Sport begründet hatte, zeigte ihm schnell die wachsende Anzahl der Schüler, die er in seinem Tal begrüssen konnte.
Heute ist er unangefochtener Meister, aber die besten seiner Schüler sind bereits grossartige Krieger. Oft müssen sie auf ihn beim allmonatlichen Training verzichten, weil er irgendwo im Ausland einen Workshop abhält oder auf einem Fest in Ungarn eine Vorführung gibt. Sie lernen so, selbst das Training zu führen.
Wenn er dann allerdings selbst das Training leitet, bebt das Tal von der Energie der Krieger. Nach einem Tag voll schwerer körperlicher Arbeit und harten Trainings besprechen sie die Ereignisse des Tages, die Trainingsfortschritte und künftige Vorhaben. Den würdigen Rahmen dieses Gesprächs und des ihm voraus gehenden gemeinsamen Abendessens bildet eine 150 Jahre alte kasachische Jurte, die Sitzordnung ist seit Jahrtausenden festgelegt: In der Mitte, der Tür gegenüber, der Kagan, neben ihm zur Linken, nach ihrem Rang die Frauen, zur Rechten die Männer (diese Ordnung löst sich bisweilen auf, wenn Männer, die des Ungarischen nicht mächtig sind, die freundlichen Übersetzerdienste einiger Frauen bemühen).
Die romantische Vorstellung, Lajos Kassai würde die meiste Zeit auf dem Pferderücken verbringen, stimmt so nicht: die Herstellung und der Verkauf seiner Bögen, ihre stete Weiterentwicklung und die Erprobung neuer Modelle beschäftigen ihn einen Gutteil des Tages. Deshalb hat er vor einigen Jahren seine Werkstatt näher an sein Tal gerückt und seitdem kontinuierlich vergrössert. Jeder seiner Handwerker ist selbst ein Meisterbogner, was man den fertigen Stücken immer ansieht.
Den verbleibenden Rest des Tages widmet er den Pferden, dem Training und der Schule der berittenen Bogenschützen, die schon vor längerer Zeit an anderen Orten in Ungarn und auch im Ausland ihre Wurzeln geschlagen hat. Noch sind es nur wenige Leute in der Slowakei, Italien, Deutschland, Österreich, den USA, Kanada und Neuseeland, aber es werden ständig mehr. Da gilt es, Regeln festzulegen, Kommunikationswege zu pflegen und Informationen auszutauschen. Eine Föderation unabhängiger nationaler Verbände der berittenen Bogenschützen ist im Entstehen, junge und alte Leute, Männer und Frauen, die eines mit Lajos verbindet: Es macht ihnen nichts so viel Freude als ihre Pfeile im vollen Galopp ins Ziel zu bringen.
Natürlich hört Lajos aber nicht auf zu trainieren, nur weil er schon Meister ist. Auch wenn noch kein anderer so weit ist wie er, weiss er, dass er seinen letzten Pfeil noch nicht geschossen hat. Alle paar Jahre zeigt er durch einen neuen Weltrekord, wohin der Weg führen kann. Zweimal schon – 1998 und 2002 – ist er zwölf Stunden lang ohne Unterbrechung (bis auf den Wechsel der Pferde) die Bahn entlang galoppiert, und hat dabei geschossen. Nur nicht einfach nur geschossen, sondern meisterlich geschossen: im Mai 2002 waren es 323 Galopps, etwa 3000 Schüsse, ein Gesamtergebnis von 7126,05 Punkten, das ist ein Wettkampfdurchschnitt von 198,55 Punkten, ein Ergebnis, das in einem regulären Wettkampf noch von niemandem ausser ihm erreicht wurde!
Im Jahr 2006 hat er die nächste Stufe überwunden: 24 Stunden Bogenschiessen vom Pferd – dazu gibt es einen eigenen Artikel hier.